Gerald Hüther – Biologie der Angst – Wie aus Stress Gefühle werden

Dr. rer. nat. Dr. med. habil., Neurobiologe. Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung. Wissenschaftliche Themenfelder: Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, Auswirkungen von Angst und Stress und Bedeutung emotionaler Reaktionen.

Gerald Hüther hat so viel veröffentlicht, dass ich einfach auf seine Webseite verweise: https://www.gerald-huether.de

Ich habe erst 3 Bücher von Gerald Hüther gelesen und einige Psychologie- und Neurobiologiebücher anderer Autoren mehr. Das Buch hier ist in seiner Form das „Schönste.“ Ein passenderer Begriff fällt mir nicht ein und wer es gelesen hat, wird verstehen.

Auf nur 115 Seiten lernt man verstehen, wieso wir fühlen (weshalb hat die Natur das so vorgesehen), wieso wir Angst haben (damit wir überleben), wieso wir positiven und negativen Stress erleben und was dies mit uns macht. In grosser Schrift nimmt uns Hüther an die Hand, von den Einzellern über die ersten Lebewesen mit einem hormongesteuerten Nervensystem bis zu den heutigen Alltags-Stressituationen. Dazwischen, in kleinerer Schrift grdruckt, erklärt er immer wieder wissenschaftlich-medizinisch die Details, ohne aber in unverständlichen Medizinerjargon zu verfallen. Wen das nicht interessiert, der List nur das gross geschriebene und geniesst die Reise durch die Welt von Gerald Hüther.

Hüther erklärt auf diesen rund 100 Seiten eindrücklich, weshalb man beispielsweise am Stress in der Eltern-Kind Beziehung leidet, weshalb man psychosozialen Stress erfährt, weshalb Unfruchtbarkeit eine Folge von Stress ist (und evolutionär auch sein muss).

Zwei Punkte sind mir eindrücklich in Erinnerung geblieben:

Erstens, Evolution erfolgte auf zweierlei Pfaden; Lebewesen starben nicht nur aus, weil ihr Körper nicht den Anforderungen entsprach (Darwinismus im klassischen Sinne, survival of the fittest), sondern auch bzw. alternativ, weil sie an Stress zu Grunde gingen (Tod) bzw. sie infolge Stress unfruchtbar wurden und sich nicht fortpflanzen konnten. Wer zu viel Stress erlebte, war offensichtlich für die Natur nicht geeignet, weiter zu existieren. Da wird einem in unserer heutigen Zeit, mit so viel (zunehmendem) Stress doch etwas Mau.

Zweitens, Dauerstress führt in letzter Konsequenz zu einer allmählichen Auflösung von Hirnverbindungen, denn in seiner Not sucht der Organismus nach der Synapsenverbindung, die den Stress auslöst (eine Erinnerung an einen Unfall, an eine verstorbene Person, der Stress, den die Beziehung zur Mutter, zum Vater zu einer nahestehenden Person auslöst, usw.), um durch deren Auflösung wieder zur Ruhe zu kommen. Dazu greift das ausgeschüttete Kortisol das Gehirn an. Das muss man sich einmal richtig plastisch vergegenwärtigen. Unser Organismus ist so genial konstruiert, dass wenn gar nichts mehr nützt um weiter zu existieren, wenn der Stress zu Antriebslosigkeit, Depression, dauerhafter Müdigkeit führt (Burnout, chronisches Belastungssyndrom), ein Mechanismus zu wirken beginnt, der nach der Schaltstelle im Gehirn sucht, welche den Stress auslöst. Ein Wettrennen zwischen körperlichem Absterben (Lethargie, Antriebslosigkeit, Depression, das führte vor 500’000 Jahren schneller zum Tod als heute, wo man unterstützt von der IV auch einmal ein zwei Jahre vor sich hin vegetieren kann ohne zu verhungern oder gefressen zu werden) und Auflösung von potentiell stressauslösenden Verbindungen im Hirn. Wenn einem das einmal bewusst wird, versteht man, wie sehr uns (negativer) Stress (sogenannter Distress) tatsächlich gefährdet. Man erkennt (negativen) Stress im Alltag schneller als potentiellen Zerstörungsfaktor, den es niemals zu unterschätzen gilt, nicht nur wenn es um das Kinderkriegen geht.

Für den Sport ist diese Thematik eine so grundlegende , dass sich dieses Buch niemand entgehen lassen sollte. Jeder Athlet hat irgendwo in seinem Leben eine Erfahrung gemacht, die in negativ prägt, jeder Athlet ist gefährdet durch negativem Stress von der Entfaltung seines Potentials abgehalten zu werden. Wer diese Mechanismen versteht, versteht sich selbst und als Coach seine Athleten besser. Das Buch gibt keine Anweisungen, wie man sich als Betroffener Abhilfe verschafft, dazu wurde es auch nicht geschreiben. Alleine das Verständnis für die Mechanismen hilft jedem, zu erkennen, wann er ein Betroffener ist, und sich Hilfe suchen sollte.

Athleten sind keine Roboter, sie haben ein Nervensystem, dass sie durch positiven Stress (Herausforderung, Neugier, Entdeckungslust) weiter bringen kann und durch neagtiven Stress (Druck, Angst, Blockade) zur Strecke bringen kann.